Unter Coaching versteht jeder was anderes
Vor einiger Zeit war ich zusammen mit einer Freundin bei einem Konzert. Dort trafen wir einen ihrer Bekannten. Er sei auch ein Musiker-Coach, stellte sie ihn mir vor: »Na dann, unterhaltet euch jetzt mal über Coaching.« So standen wir uns in der Pause also gegenüber: »Aha, Du coachst also auch? Ja, wen denn? Und mit welchen Themen? Und wie bist du denn dazu gekommen?« Wir führten eine interessante, wenn auch nur konzertpausenkurze Unterhaltung. Über verschiedene Anforderungen und Probleme im Musikbusiness, über die Unterschiede in Klassik, Jazz und Pop und verschiedene Themen in der Beratung. Dabei stellten wir fest, dass sich unsere konkreten Tätigkeitsfelder letztlich doch fundamental unterschieden.
Bei dieser Gelegenheit ist mir wieder einmal klargeworden, dass es unzählige Vorstellungen und Bilder dazu gibt, was ein Coach denn eigentlich ist, was bei einem Coaching genau passiert, wer es wann, wie und warum brauchen könnte. Kein Wunder, denn die Begriffe Coach und Coaching sind nicht geschützt, es kann sich also jeder dieses Label anheften. Zudem werden Beratung, Training und Coaching oftmals bedeutungsgleich verwendet. Hinter ihnen steht jedoch jeweils ein bestimmtes Beratungsverständnis, das im Grunde eine relativ klare Abgrenzung ermöglicht.
Jede Musiker*in ist schon einmal gecoacht worden
Eigentlich begegnen so gut wie alle Musikerinnen und Musiker verschiedenen Arten des Coachings schon sehr früh und dann immer wieder. Zuerst in den Personen, die ihnen das Spielen eines Instruments oder das Singen beibringen. Hier ist der Coach gemeint, wie wir ihn aus dem Sport kennen und der in Deutschland Trainer heißt. Jemand, der Instruktionen gibt, Methoden lehrt, motiviert und lenkt. Die ersten Lehrer sind es auch meist, die – im besten Falle gemeinsam mit ihren Schülern – die Weichen für eine spätere Karriere als Profi stellen und neben ihrem instrumentalen Können auch ihre Erfahrungen und Kontakte weitergeben. Später, im Laufe der Ausbildung und auch noch während des Berufslebens holen sich viele ihre Anregungen in Meisterkursen (viele Meister nennen sich inzwischen auch Coach) oder Workshops, spielen Kollegen und Freunden vor oder veranstalten informelle Konzerte mit der Bitte um fachkundiges Feedback auf Augenhöhe.
Hinzu kommt, dass Profimusikern immer häufiger außermusikalische Fähigkeiten abverlangt werden: Konzerte selbst konzipieren, organisieren, verkaufen, moderieren … Es gilt, die eigene Position im Markt zu etablieren, auszubauen oder zu erhalten. Oftmals stellen sich im Laufe einer Musikerkarriere auch gesundheitliche Fragen, angefangen bei Rückenproblemen bis hin zu schweren Erschöpfungszuständen. Viele Musikerinnen und Musiker sind dann auf der Suche nach Unterstützung, die genau zu ihrem persönlichen Anliegen passt. Der Übergang von der Lehre zum Training, zur Beratung zum Coaching ist dabei oft fließend.
Ja, was denn nun? Beratung, Training oder Coaching
Orientierungshilfe bieten hier Definitionen, wie sie von professionellen Coaches formuliert werden: Unter Beratung wird in der Regel eine Fachberatung verstanden, wie sie zum Beispiel Steuerberater, Rechtsanwälte oder - um in der Musikbranche zu bleiben - PR-Berater, Webdesigner, Marketing-Berater und auch Agenturen anbieten. Berater stellen ihr Fachwissen zur Verfügung und übernehmen zum Teil definierte Aufgaben für ihren Kunden (Pressetexte schreiben und verbreiten, Websites erstellen, Booking etc.). Ziel der Beratung ist die Vermittlung von fachspezifischem Wissen, der Berater bestimmt dabei den Inhalt und den Ablauf der Gespräche, hat als Ratgeber in dem betreffenden Fachgebiet gegenüber dem Klienten eine klar überlegene Rolle. Man bekommt (hoffentlich gute) Ratschläge.
Im Training steht das Erlernen und Üben von bestimmten, als ideal betrachteten Verhaltensweisen im Vordergrund, wie etwa bei Moderations- oder Rhetorik-Trainings und natürlich bei Trainings für eine gute Bühnenpräsenz oder gegen Lampenfieber. Die individuellen Bedürfnisse werden hier zwar maßgeblich berücksichtigt, aber im Fokus stehen die Inhalte. Trainings können allerdings, sofern gewünscht, auch Teil eines Coachings sein, wie zum Beispiel Rollenspiele zum Üben von Verhandlungsgesprächen mit Veranstaltern oder Agenten.
Im Unterschied dazu handelt es sich beim Coaching um eine prozessorientierte und zielfokussierte Beratung. Das bedeutet, im Fokus der Gespräche stehen Reflexion, Erweiterung und Flexibilisierung des persönlichen Verhaltensrepertoires. Inhalt, Ablauf und Ziel der Sitzungen werden gemeinsam festgelegt. Hier fließen in die berufliche Themenwelt nicht selten persönliche Lebensfragen mit ein. Die Lösungen für die thematisierten Probleme des Coachees (Kunden/Klienten) werden zusammen entwickelt und auf ihn persönlich abgestimmt. Er hat also ein hohes Maß an Eigenverantwortung für den Inhalt und seinen Anteil am Erfolg des Prozesses. Coaches verstehen sich als Gesprächspartner und Feedbackgeber auf Augenhöhe, ein Beziehungsgefälle sollte nicht bestehen. Selbstverständlich brauchen auch Coaches Expertenwissen, Branchenkenntnisse, Methodenkompetenz und letztlich auch Lebenserfahrung um als Berater von ihren Auftraggebern akzeptiert zu werden. Wenn gewünscht, kann Coaching auch Fachberatung und/oder Training enthalten und dient dann als Hilfe zur Selbsthilfe. Im Kern geht es im Coaching also um persönliche Entwicklung, die Erweiterung der Selbstmanagementfähigkeiten, um mehr Unabhängigkeit (übrigens auch vom Coach).
Das ist für mich das Spannende an meiner Arbeit als Coach: Ich treffe zumeist auf interessante, hochkompetente, oft auch lebenserfahrene Persönlichkeiten, absolute Experten in ihrem Fachgebiet, die in einer konkreten Fragestellung feststecken. Vielleicht »sehen sie nur den Wald vor lauter Bäumen nicht«, vielleicht haben sie schon zwei, drei Lösungsversuche gestartet und festgestellt, dass diese keine befriedigenden Ergebnisse bringen. Vielleicht wollen sie neue, unbekannte Wege einschlagen oder die Richtung radikal wechseln und bei der Navigation alte Denkmuster über Bord werfen. Als Coach bin ich die Expertin für den Perspektivwechsel: Zuhören, die richtigen Fragen stellen, Analysen strukturieren und ermutigen, neu und anders zu handeln. So kann sich der AHA-Effekt einstellen, die Lösung, die oft eigentlich schon da war, sich zeigen.